Tag 36: Von Dubovac nach Moldova Veche – 36,3 km – 5:15 Stunden – 9.893 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.408,8 km
24.08.2017. Möchte man Serbien besser verstehen, was in seiner Seele brennt, warum immer vom serbischen Patriotismus gesprochen wird, der sich leider auch ab und zu in überzogenen Nationalismus transformiert, dann sollte man einen kurzen Blick auf das Urtrauma dieses spannenden Balkanlandes werfen. Es war 1389, die Schlacht auf dem Kosovo Polje, dem Amselfeld. Die Serben wurden von den Osmanen geschlagen und vertrieben. Der Kosovo war angeblich ihr Land, das Herz des großserbischen Reiches unter Dusan dem Mächtigen. Bis heute noch sehen serbische Nationalisten den Kosovo als ihren Boden, ihr Urland, ihre Wiege der Nation und träumen von einem Großserbien. Dabei wurde die Tragödie über die Jahrhunderte durch Gedichte, Balladen und Lieder schlichtweg aufgeladen, historisch war die Schlacht nicht mehr als eine Episode. Der Kosovo war im 14. Jahrhundert ein Vielvölkerland, keine rein serbische Angelegenheit. Und dennoch wird diese Schlacht immer noch für die eigene, plumpe Agenda genutzt.
Der Nationalismus ist in Serbien immer noch täglich mit Händen zu greifen, auch wenn es natürlich nicht alle betrifft und es viele Initiativen für Austausch und Verständigung gibt. Und Pascal spürt auch immer wieder die Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit der Menschen in Serbien. Auch wenn er sieht, dass vor allem die älteren Menschen „vom Leben gezeichnet sind.“ Sein Gastwirt Dragan zum Beispiel ist seit 16 Jahren Fischer, zuvor arbeitete er für lange Zeit in einer Fischkonservenfabrik. Heute vermietet er fünf Boote. Dragan gab Pascal einen Buchtipp mit auf den Weg: Die Prophezeiungen von Celestine von James Redfield, ein Abenteueroman und spiritueller Wegweiser. Es geht um die „Suche nach einer neuen spirituellen Orientierung, der Wunsch nach Selbsterkenntnis, das wachsende Bewusstsein um die Zerstörung der Natur und des biologischen Gleichgewichts.“ Das weckt Interesse und man wünscht sich, der ein oder andere zornerfüllte serbische oder albanische Nationalist würde das Buch lesen.
Am Morgen gab es für Pascal ein rustikales, serbisches Frühstück, unter anderem mit Tomaten und Zwiebeln am Stück. Danach hielt er einen kurzen Plausch mit drei älteren Damen. Eine Dame sprach perfekt Deutsch, da sie als Krankenschwester in Haar bei München gearbeitet hatte. Gegen 10 Uhr machte er sich auf den Weg nach Moldova Veche. Zunächst spürte er Gegenwind im Gesicht, der sich aber später wieder legte. Zum Glück, denn viel Strömung gab es heute nicht. 273 Paddelschläge musste er heute pro Kilometer setzten, das sind 40 mehr pro Kilometer als der bisherige Durchschnitt.
Kurz nach dem Start weitet sich die Donau, sie wirkt hier mehr wie ein Stausee, denn einem Fluss. „Echt krass“, wie mir Pascal zurief. Vereinzelt, und je nach Wasserstand, kommen in der Gegend Sandbänke zum Vorschein. Durch die Stauung im Eisernen Tor hat die Donau hier, wo es noch keine engen Schluchten gibt, ausreichend Platz zum Mäandern. Das wird sich in den kommenden Tagen ändern.
Wenig später ging es für ihn an Ram vorbei, wo es noch ein Kastell aus römischen Zeiten gibt. Kurz nach Ram erreichte Pascal dann gegen 11:30 Uhr die Grenze zu Rumänien, erkennbar an den Wachtürmen auf beiden Seiten. Pascal erreichte mit Rumänien das siebte Land seiner Donaureise. Für ihn ist es das erste Mal in dem Land mit seiner romanischen Sprache. Die nächsten 230 Kilometer stellt die Donau den natürlichen Grenzverlauf zwischen Serbien (rechts der Donau) und Rumänien (links der Donau) dar. Die Ausläufer des Banater Berglandes, die in die nordöstlich liegenden Karpaten übergehen, ragen auf. Das Landschaftsbild wird für Pascal wieder deutlich abwechslungsreicher.
An der Grenze mündet die kleine Nera, die Pascal morgen bei einer SUP-Tour mit Tibi und Marius kennenlernen wird. Anschließend nimmt die Donau eine scharfe, lange Rechtskurve und verläuft für rund fünf Kilometer in den Süden, nur um danach wieder bei Ostrovo eine scharfe Linkskurve zu nehmen. Hier befindet sich der durch zwei Dämme künstlich geschaffene Nebenarm Srebrno jezero (zu Deutsch Silbersee), der sich über 14 Kilometer erstreckt und für Wassersportaktivitäten genutzt wird.
Seine erste Pause legte Pascal nach rund 23 Kilometern ein. Er hatte heute aber keine Lust auf zugemüllte Ufer, so setzte er sich auf sein SUP und ließ sich einfach für 20 Minuten treiben. Wie immer lässt ihn das Müllthema trotzdem nicht los. Vielleicht bringt es die serbische Performance-Künstlerin Marina Abramovic auf den Punkt: „The big problem of modern society is that we feel that we are separated from the nature. But it’s just the opposite. We are interrelated and our DNA is the same. And only when human beings understand that, the nature will not be obstacle.” Eine Aussage, die Stoff für Diskussionen bietet. Eins zu sein mit der Natur, es als einen Teil von sich selbst zu betrachten, es als eigene Lebensgrundlage zu sehen, ohne die kein Leben möglich wäre – es ist definitiv ein Ansatz, um mit der Natur schonender umzugehen, sie zu beschützen. Denn wer, der nicht an einer Krankheit leidet, fügt sich selber Schmerzen zu. Der Natur gegenüber tun wir es, und wir denken uns nichts dabei. Mehr zu den Intentionen und Aktionen von Marina Abramovic, aber auch ihrer Kindheit im kommunistischen Jugoslawien, kann man in ihrer Autobiographie Durch Mauern gehen erfahren – ein tolles Buch einer außergewöhnlichen Frau, das mir Pascal vor einiger Zeit schenkte.
Später passierte Pascal auf rumänischer und serbischer Seite kleinere Städte und Dörfer und den ein oder anderen kleinen Fischerhafen. Schließlich erreichte Pascal gegen 15:00 Uhr sein Tagesziel Moldova Veche (zu Deutsch Alt-Moldova). Die Anlandung erfolgte am Strandclub „El Gringo“, auch mal eine Abwechslung. Moldova Veche ist der Ausgangsort für das Eiserne Tor und wie immer ein Ort, dessen Beherrscher laufend wechselten: Teil des Königreichs Ungarns, dann unter osmanischer Verwaltung, später zum Banat Temeschwar gehörend, bis die Habsburger es übernahmen, um 1920 im Vertrag von Trianon dem Königreich Rumänien zugesprochen zu werden. Moldova Veche war die wichtigste Lotsenwechselstation der gesamten Donauschifffahrt, denn für die kommenden Herausforderungen des Eisernen Tores bedurfte es der erfahrensten Lotsen.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden viele Bauern der Gegend in die Bărăgan-Steppe in Zentralrumänien deportiert, da sie gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft und ihrer Enteignung Widerstand leisteten. 40.000 Menschen waren davon betroffen, ein Viertel davon waren Rumänendeutsche. Ferner ging es um eine Säuberung von „politisch unzuverlässigen Elementen“, lag die Gegend doch im Grenzgebiet zu Titos Jugoslawien, mit dem sich Stalin und sein rumänischer Vasallenstatt zerworfen hatten. Erst 1956 konnten die Verschleppten wieder heimkehren.
Pascal gönnte sich nach der Ankunft erstmal im „El Gringo“ bei guter elektronischer Musik ein kühles Bier und genoss bei Traumwetter die Aussicht auf die Donau. Er war hier mit Tibi, Marius und der Filcrew um Nils und Matse verabredet. Sie fahren noch heute Abend ins Neratal, das für seine naturbelassenen Schluchten bekannt ist. Gemeinsam werden sie morgen eine Paddeltour in den Canyons machen. Wie immer war Pascal natürlich der Erste am Treffpunkt, er ist für seine Pünktlichkeit bekannt. Nach der herzlichen Begrüßung mit Tibi und Marius halfen ihm die beiden beim Eindeklarieren in Rumänien. Es war mal wieder ein Highlight, denn die rumänischen Grenzbeamten wollten zum Amüsement von Pascal wissen, wie der Name des Boards sei und ob es Motoren hat. Als Name wurde „Falcon“ in die Papiere eingetragen, der Streifzug des SUPs.
Anschließend trafen auch Nils und Matse ein, die von Belgrad aus eine abenteuerliche Anreise nach Moldova Veche hatten. Auch sie machten ihre Erfahrungen mit der osteuropäischen Polizei, so mussten sie unter anderem ihren Kofferraum aufmachen und das Kameraequipment vorführen. Danach es gab es erstmal ein gemeinsames, erfrischendes Bad in der Donau und ein paar kleine Drehsequenzen. Marius erzählte Pascal, dass er letztes Jahr mit dem Kajak von Ulm aus ins Schwarze Meer gepaddelt ist. Somit ist er für Pascal der perfekte Gesprächspartner zum Austausch von Erfahrungen. Später machten sich die Jungs dann auf den Weg ins Neratal. Wir sind schon gespannt auf die Berichte.
1912 übrigens, während des Balkankrieges, holten sich die Serben den Kosovo von den Osmanen zurück. Tito versuchte den Amselfeld-Mythos zu unterdrücken, er wollte keine Nationalismen unter den verschiedenen Balkanvölkern aufkommen lassen und gestattete dem Kosovo weitreichende Autonomie. Es brachte den Albanern endlich Rechte, allerdings konnte dadurch auch der albanische Nationalismus im Kosovo gedeihen, den Tito eigentlich verhindern wollte. Milosevic benutzte den Amselfeld-Mythos wieder. Die Folgen sind bekannt. TF
PS: Morgen wir es keinen Blog geben. Wir melden uns am Samstag wieder mit einer ausführlichen Berichterstattung des Paddelausflugs vom Freitag und Pascals ersten Kilometern im Eisernen Tor am Samstag.