Tag 21: Von Budapest nach Szigetbecse – 54,5 km – 9:00 Stunden – 16.479 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 851,0 km

09.08.2017. In welchem Zustand befindet sich eigentlich die Donau? Pascal konnte am Wegesrand immer wieder Plastikmüll sehen, vereinzelt trieben auch mal Teile auf der Wasseroberfläche. Was sich aber darunter abspielt, das konnte Pascal nur schwer erkennen. Ein internationales Team aus Wissenschaftlern hat 2013 die Donau in 14 Anrainerstatten untersucht und die Ergebnisse im Joint Danube Survey 3 (JDS3) zusammengefasst. Die Haupterkenntnisse waren: Der Zustand der Uferbereiche der Donau ist unbefriedigend bis schlecht. Das Gleiche gilt für die Lebensbedingungen der Fische. Darüber hinaus wurde eine Unmenge an Keimen entdeckt, die sich auch noch resistent gegen Antibiotika zeigen. Da können wir nur hoffen, das Pascal auf seiner körperlich schlauchenden Tour bei unbeabsichtigten Tauchgängen kein Wasser verschluckt.

Ein heftiger Tag war es heute für Pascal. 16.479 Paddelschläge, ein neuer Spitzenwert. Das hatte aber triftige Gründe. Aber der Reihe nach. Pascal startete heute gegen 10:15 Uhr seine Tour. Zuvor traf er sich noch mit einem ungarischen Kamerateam, das ihn heute stückweise begleitete.

Zunächst ging es nochmal mit viel Geschwindigkeit wenige Kilometer durch das Zentrum von Budapest, vorbei am gestern erwähnten Géllertberg, durch die großen Brücken Petöfi (der ungarische Nationaldichter) und Rákóczi (der ungarischen Nationalheld) hindurch – welch klangvolle Namen – und zu einer Zweigstelle der Donau.

Hier hieß es für Pascal eine Entscheidung treffen: Entweder die breite Fahrrinne oder den kleinen, östlich verlaufenden Nebenarm der Donau nehmen. Der Nebenarm mündet nach 57 Kilometern wieder in der Fahrrinne. Im Donau-Buch von Melanie Haselhorst und Kenneth Dittmann war der Nebenarm so beschrieben: „Die Ráckeve-Duna […] fließt auf 57 km parallel zum Hauptstrom durch schönste Naturlandschaften mit Wochenendhäusern, Fischerhütten und Schilfgürtel.“ Für Pascal war die Entscheidung schnell getroffen. Er nahm den Nebenarm. Allerdings geschah hier bereits das erste kleinere Malheur, er bog auf der falschen Seite des Wehrs ein, und so landete Pascal in der Bootsschleuse. Aber alles ging gut, kurz darauf konnte er die Etappe fortsetzen.

Beide Flussarme umrahmen danach die Insel Csepel. Der nördliche Teil ist vor allem von Schwerindustrie geprägt. Das konnte Pascal auch riechen. Zu Ostblockzeiten wurden hier die Csepel-Motorräder sowie Nutzfahrzeuge und Komponenten hergestellt. Die Arbeiter von Csepel waren am ungarischen Volksaufstand 1956 maßgeblich beteiligt, der durch die Panzer der roten Armee brutal niedergeschlagen wurde. Heute bestehen hier vor allem Zuliefererbetriebe für die Automobilindustrie. Der südliche Teil der Insel wirkt naturbelassen und wird für Erholung und Wassersportaktivitäten genutzt. Das perfekte Ziel für Pascal am heutigen Tag.

Das Gebiet ist geprägt durch eine Vielzahl an Altarmen und sumpfigen Niederungen. Östlich beginnen hier langsam die tiefen Ebenen der Puszta, das ungarische Tiefland mit seinen unendlichen Mais-, Sonnenblumen- und Paprikafeldern. Im Gebiet leben viele Donauschwaben, die ein altertümliches Deutsch mit schwäbischem Akzent sprechen und im 17. Jahrhundert einwanderten. Es waren Landwirte und Handwerker, die Sümpfe trocken legten und mit neuen Bewässerungssystemen die Grundlagen für die Landwirtschaft schafften. Heute sind sie als Minderheit akzeptiert und machen rund eine Viertel Million Menschen aus. Eine nette Geschichte, denn Pascal hat selber schwäbische Wurzeln.

Der Nebenarm bot für Pascal heute aber auch seine Tücken. Es fand praktisch keine Strömung statt, es waren 35 Grad und dazu blies auch noch ein spürbarer Gegenwind – solche Etappen sind bei großen Radrundfahrten die meist Gehassten. Auf der Passage befanden sich auch, wie erwartet, die vielen Ferienhäuser. Pascal konnte viele Angler beobachten, vor allem hatte er aber permanent Rauchgeruch von den vielen Barbecues in der Nase – auch nicht gerade förderlich für einen Ausdauersportler in Aktion.

Nur wenige Kilometer vor dem Tagesziel Szigetbecse liegt der beschauliche Ort Ráckeve. Neben kleinen Kirchen gibt es hier ein bekanntes Schloss, das für Prinz Eugen von Savoyen errichtet wurde, einer der bedeutendsten habsburgischen Feldherren. Neben großen Erfolgen im Spanischen Erbfolgekrieg sicherte er den Habsburgern die Vormachtstellung in Südosteuropa in mehreren Feldzügen gegen die Osmanen.

Kurz darauf erreichte Pascal nach einem langen Paddel-Tag mit zusätzlichen Drehsequenzen des ungarischen Fernsehteams das Tagesziel Szigetbecse. Endlich. Aber dann geschah es. Pascal paddelte einfach weiter. Aus der Ferne konnte man es auf dem Livetracker auf der Website beobachten. Pascal paddelte einfach immer weiter. Irgendwann bemerkte er es. Er musste wieder umkehren. Insgesamt war es eine Extra-Paddel-Einheit von rund sechs Kilometern. Nach bereits 48 absolvierten Kilometern bei großer Hitze und Gegenwind kann in solchen Fällen die Motivation schon mal in den Keller gehen. Aber Pascal nahm es locker. Solche Dinge passieren, und es wird wahrscheinlich nicht das letzte Mal bleiben.

Gegen 19:15, nach neun Stunden, erreichte er endlich die Unterkunft. Aber wie es eben nun mal so kommt, war erstmal niemand da. Nach einigem Warten kam dann endlich jemand. Zu essen gab es in der Unterkunft leider auch nichts. Also ging es darum irgendwo eine Pizza zu bestellen. Gar nicht so einfach, wenn man kein Ungarisch spricht. Durch die Übersetzungshilfe von Alice wurde auch dieses Unterfangen erfolgreich gemeistert. Alice ist die Tochter von Bulu, die Pascal gestern in Budapest besucht hatte. Dann hieß es aber wieder warten, und warten, und warten. Und schließlich gegen 21:45 Uhr, nach einem heftigen Tag, mit „plattem Kopf“, mit einem neuen Spitzenwert an Paddelschlägen und hohem Energieverbrauch, kam endlich die Pizza – und Pascal war glücklich.

Da Pascal heute so viele Fischer gesehen hat, nochmal kurz zurück zur Studie. Die Fischpopulationen in der Donau sind bereits arg dezimiert. Das liegt vor allem an Dämmen, Stauwehren und begradigten Ufern, die den Lebensraum der Fische einschränken. In der Studie wird von erheblichen Problemen der Fischgründe gesprochen. Hinzu kommt, dass fremde Arten in die Donau eingeschleppt wurden. Diese bringen neuartige Parasiten mit oder essen den heimischen Fischen das Futter weg. Zusammenfassend muss man konstatieren, dass die Donau kein fischfreundlicher Fluss mehr ist. Maßgeblich an der Studie beteiligt ist die Internationale Kommission zum Schutz der Donau (ICPDR). Ivan und Helene vom ICPDR hatte Pascal in Wien kennen gelernt. Die nächste Studie soll übrigens 2019 erfolgen.

Morgen geht es für Pascal weiter nach Dunaújváros, Erinnerungen an die Ostblockzeiten kommen hoch. Und es sind nur rund 25 Kilometer. Nach der heutigen Etappe eine Leichtigkeit für Pascal. TF

PS: Alle weiteren Informationen zur Studie findet Ihr hier: http://www.danubesurvey.org/.