Tag 29: Von Aljmaš nach Vukovar – 47,8 km – 6:30 Stunden – 10.607 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.125,5 km

17.08.2017. Es ist gerade einmal 25 Jahre her. Über drei Monate hagelten 1991 rund drei Millionen Granaten auf die Dächer von Vukovar, einst ein barockes Kleinod, das als „kleines Wien“ bezeichnet wurde. Es herrschte Krieg. Kroatien hatte sich soeben von Jugoslawien losgesagt. Die jugoslawische Volksarmee und serbische Milizen verwandelten Vukovar in ein Trümmerfeld. 2.000 Menschen starben, wurden hingerichtet, andere mussten – oder besser gesagt – konnten fliehen. Später wurde es vergolten, die Serben wurden zum Teufel gejagt. 1998 kam Vukovar wieder unter kroatische Kontrolle. Ein Ort als Symbol für den Irrsinn der Menschheit. Eine Erinnerung daran, wenn aus patriotischen Gefühlen nationalistischer Stumpfsinn entsteht. Wenn anstatt auf das Verbindende auf das Trennende geschaut wird. Wenn Politiker, Armeegeneräle, aber auch einfache Bauern zu Hetzern und Kriegsverbrechern werden. Zerbombte Häuser und Industrieanlagen in Ufernähe der Donau sind noch heute Zeugnis für die verheerenden Kämpfe. Vukovar, Pascals heutiges Tagesziel, ein Ort der Tristesse, aber auch eine Stadt der Helden, des Widerstands, der kroatischen Selbstbehauptung.

Nach einem netten Abend mit den Chemnitzern Thomas und Albrecht, die von Budapest nach Belgrad radeln und die Pascal in der einzigen offenen Gaststätte in Aljmaš kennen lernte, startete Pascal heute mit einem tollen Frühstück mit selbstgemachter Marmelade von Ivan in den Tag. Nach der Verewigung von Ivan und den beiden Chemnitzer Radlern auf Pascals Board startete Pascal pünktlich mit dem Glockenschlag der Wallfahrtskirche 9:45 Uhr seine heutige Etappe.

Die Donau trug heute sehr viel Wasser, entsprechend kam Pascal mit guter Strömung und einer Geschwindigkeit um die 10 bis 11 km/h rasch voran. Den ganzen Tag dachte er über das Thema Wasser nach und generierte dabei die eine oder andere Idee, die er mit Pure Water for Generations in den nächsten Monaten und Jahren gerne umsetzen möchte. Es ist ein Thema, das für viele Menschen vielleicht auf Unverständnis stößt, warum jemand nicht für sich selbst, sondern für den Erhalt unsere Lebensadern die Strapazen dieser langen Reise auf sich nimmt. So führte Pascal in der zweiten seiner drei Pausen heute nochmal ein Radiointerview mit Charivari und versuchte den Zuhörern die eigentliche Intention seiner Reise zu verdeutlichen. Denn in der Regel finden viele eher die Aktion Paddeln bis in Schwarze Meer „cool“ und „hip“. Die Themen Wasser und Natur rücken dann leider schnell in den Hintergrund. Pascal muss immer wieder darauf aufmerksam machen.

Die historische Region Slawonien, die Pascal westlich der Donau gestern und heute passierte, gilt als Kornkammer Kroatiens und ist die Fortsetzung der ungarischen Tiefebene. Slawonien war einst Königreich im Habsburgerreich und gehörte lange Zeit zu Ungarn, bevor es 1918 Jugoslawien eingegliedert wurde. Während des Bürgerkrieges in den 90er Jahren war die gesamte Region erbittert umkämpft. Es war nicht nur Vukovar, auch Erdut, Dlaj und Borovo sind Orte, die in die Mühlen des Kroatienkrieges gerieten und bekannt wurden für Schlachten, Scharmützel und Massaker. Sie alle liegen direkt an der Donau und wurden von Pascal im Laufe des Tages passiert. In Erdut wurde 1995 ein wichtiges Abkommen geschlossen, wonach Ostslawonien und weitere Gebiete, die zuvor zur international nicht anerkannten Republik Serbische Krajina gehörten, wieder Kroatien zugesprochen wurden. Serben stellen heute nach wie vor die größte Minderheit in der Region dar.

Nach Pascals dritter und letzter Pause bog er um die letzte Kurve vor Vukovar und konnte sofort die Industrie- und Hafenanlagen von Vukovar sehen, zum Teil noch als Ruinen vom Bürgerkrieg. Er vollzog seinen obligatorischen Stopp bei der Polizei, die seine Ankunft sehr entspannt aufnahmen, sich kurz seinen Pass und sein SUP anschauten und ihn wieder entließen. Scheinbar gehen die städtischen Polizisten etwas lockerer mit den bürokratischen Gepflogenheiten um als im ländlichen Bereich.

Pascal erreichte dann gegen 16:15 Uhr das Zentrum Vukovars. Bis hierher hat er mittlerweile über 160 Stunden netto auf dem Board gestanden und mehr als 250.000 Paddelschläge gesetzt. Am Nachmittag machte er einen Spaziergang durch den Ort. In Vukovar gibt es ein Franziskanerkloster und das Schloss des Mainzer Kurfürsten von Eltz. Das Mahnmal Ovčara erinnert an das Massaker von Vukovar und steht genau an der Stelle, wo 200 Patienten des städtischen Krankenhauses von Freischärlern ermordet wurden. Pascal konnte auch Häuser sehen, die auf der einen Seite restauriert und auf der anderen Seite noch von den Granateinschlägen gezeichnet waren. Ihm fiel auf, dass im Ort sehr viel gebaut und viele Gebäude und Plätze wieder schön hergerichtet werden. Er traf auch auf einen Einwohner, der früher in der lokalen Schuhfabrik arbeitete, die früher unter anderem für Adidas und Puma Sportschuhe in hohen Mengen herstellte und heute nur noch kleine Stückzahlen produziert. Den Abend möchte Pascal nun entspannen und wie immer Kraft für den nächsten Tag sammeln.

Auch heute noch, 25 Jahre danach, herrscht in vielen Köpfen übrigens weiterhin Krieg, ein kalter Krieg. Getrennte Klassen zwischen kroatischen und serbischen Schülern. Beschmierungen auf kyrillischen Schildern. Politiker, die gegen die andere Ethnie hetzen. Frühere Verbrechen der anderen, die erwähnt, die eigenen aber verschwiegen werden. Nur einige Beispiele dafür, dass Aufklärung und Versöhnung noch in weiter Ferne liegen. Eine bittere Erkenntnis. Beide Seiten haben sich in der Vergangenheit wehgetan. Und dennoch gibt es Hoffnungsschimmer, denn es gibt auch Menschen auf beiden Seiten, die Austausch pflegen, sich dem anderen öffnen, das Verbindende suchen, sich verstehen lernen, sich befreunden und zu einem friedlichen Miteinander beitragen. Hier gilt es anzusetzen – bei allen Wunden, die nicht vergessen werden sollen, aber die vielleicht eines Tages verziehen werden. Das wäre wunderbar.

Morgen geht es für Pascal auf seine letzte Etappe in Kroatien. Das Ziel heißt Ilok, die östlichste Gemeinde von Kroatien. TF

PS: Das Radiointerview von Pascal mit Charivari und einen kleinen Artikel dazu findet Ihr auf unserer Medienseite.