Tag 30: Von Vukovar nach Ilok – 35,8 km – 4:00 Stunden – 7.585 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.161,3 km
18.08.2017. Er wurde in Vukovar geboren, studierte in Sarajevo und schloss sich später dem kroatischen Rundfunk an. Es war der 12. November 1991, die Granaten schlugen über den Dächern ein. Er sendete aus dem eingeschlossenen Vukovar per Fax zwischen 17.34 Uhr und 18.33 Uhr seine Geschichten aus Vukovar nach Zagreb. Sie sollten nicht verloren gehen. Wenige Tage später verliert sich seine Spur. Niemand weiß, wo er ist. Ist er umgekommen? Lebt er noch? Siniša Glavašević ist sein Name. Seine Geschichten aus Vukovar ist ein Buch voller einfacher und klarer Lebensweisheiten, die er während der Belagerungszeit schrieb. Es geht um Gefühle, Werte, Sehnsüchte des Menschen, die auch der Krieg nicht vernichten kann. Pascal entdeckte das Buch heute Morgen beim Besuch des Schlosses von Vukovar.
Seit genau einem Monat ist Pascal nun unterwegs. 28 Tage auf dem SUP und zwei Ruhetage stehen für ihn zu buche. Pascal hat bald die Hälfte der Strecke zum Schwarzen Meer geschafft. Es bietet sich die Frage an, wie es ihm geht. Er rief mir zu, dass er sehr glücklich mit dem bisherigen Verlauf ist. Und vor allem dankbar, dass er sich die Freiheit nehmen kann solch eine Reise antreten zu können, täglich die Natur und das Wasser zu genießen, neue Länder mit ihren verschiedenen Kulturen und Menschen kennen zu lernen. Dem Körper geht es noch gut, die ersten Momente des Tages nach dem Aufstehen gestalten sich in der Regel etwas zäher, aber er findet nach dem Anpaddeln schnell seinen Rhythmus. Kürzere Etappen von 20 bis 30 Kilometern bereiten ihm gedanklich keine Sorgen mehr. Vor den lange Etappen von 50 Kilometern und mehr zeigt er aber den nötigen Respekt. Die täglichen Rituale wie Sachen packen und waschen, paddeln, Pausen einlegen, die Blicke auf das Wasser und die Natur, die Ankünfte, kleine Spaziergänge, das Treiben der Menschen beobachten oder der tägliche Schlaf verschaffen ihm die gewünschte Seelenruhe – auch wenn natürlich der ein oder andere organisatorische Aufwand noch keine hundertprozentige „Dalai-Lama-Seelenruhe“ aufkommen lässt. Aber das kann ja noch kommen.
Den Tag startete Pascal mal wieder mit einem Besuch bei der lokalen Polizeistation, ein Fußmarsch von insgesamt zwei Kilometern hin und zurück. Hier kam es zum ersten kleinen Aufreger des Tages. Zunächst stand er erstmal vor verschlossener Tür. Dann war die Dame von gestern, die ihm bestätigte, dass Pascal heute trotz Ausdeklarierung von Kroatien in Ilok auf der kroatischen Seite anlanden kann, nicht zu gegen. Ihr Kollege sprach kaum Englisch und wollte Pascal zunächst keine Erlaubnis erteilen. Nach der Erklärung des Vorhabens mit Händen und Füßen zeigte sich der Grenzpolizist verständnisvoll und bestätigte Pascal die letzte Übernachtung auf kroatischem Boden.
Nach dem Besuch des Schlosses, das die Geschichte von Kroatien und Vukovar über verschiedene historische Phasen illustriert und im Bürgerkrieg stark beschädigt wurde, konnte Pascal schließlich 11 Uhr in See stechen. Die Donau verläuft bis Ilok quasi immer gerade aus. Zu Beginn dachte Pascal nochmal viel über Vukovar und seine Geschichte nach, später konnte er sich gedanklich wieder seiner eigentlichen Intention widmen – dem Wasser und der Natur.
Auch heute passierte Pascal wieder den ein oder anderen Ort, in dem es während des Kroatienkrieges zu erbitterten Kämpfen kam. Sotin ist ein Beispiel dafür. Früher lebten hier viele Donauschwaben, es gab sogar eine Straße mit dem Namen „Schwabengasse“. Die Deutschen wurden aber nach dem zweiten Weltkrieg vertrieben. Während des Kriegs der 90er Jahre wurde der Ort durch serbische Truppen besetzt, die lokale Bevölkerung musste fliehen.
Danach ging es für Pascal weiter nach Opatovac. Das Auffanglager war 2015 auf der Balkanroute einer der wichtigsten Durchgangsorte für viele Menschen auf der Flucht und geriet wegen Tumulten aufgrund der völligen Überfüllung in die Schlagzeilen. Weitere kleinere Dörfer folgten.
Nach 22 Kilometern legte er seinen einzigen Tagesstopp ein. Und wie sollte es auch anders sein, mal wieder wurde er von einem Polizeiboot passiert. Die Grenzpolizisten zeigten sich aber freundlich und grüßten Pascal. Allgemein ist ihm aufgefallen, dass auf der Donau in Kroatien sehr viel Polizei zugegen ist. Es liegt daran, dass die Donau hier die natürliche EU-Außengrenze ist und die Gegend Teil der Balkanroute, die viele Flüchtlinge vor allem im Jahr 2015 genommen haben.
Wenige Kilometer vor dem Tagesziel passierte Pascal noch die Festung Sarengrad, die sich auf einem Hügel über die Donau erhebt und auf der einst Handelsverkehr der Donau kontrolliert wurde. Im Süden der Donau kommen dann langsam die Berge der Fruška Gora auf, ein Mittelgebirge, das als Nationalpark deklariert ist und für seine vielfältige Flora und Fauna bekannt ist. Die lokalen Winzer der Fruška Gora sind berühmt für ihre Weißweine, die schon am kaiserlichen Hof in Wien getrunken wurden. Darüber hinaus gibt es noch 15 erhaltene Klöster in den Bergen. Es waren Orte des Widerstands gegen die Osmanen. Die Gebirgszüge haben wieder einen folgenschweren Einfluss auf die Donau. Nachdem der Strom nun über mehrere Hundert Kilometer geradeaus Richtung Süden floss und – wer weiß – vielleicht sogar im Mittelmeer gemündet wäre, drängen die Fruška Gora-Züge die Donau in südöstliche Richtung ab. Diesen Verlauf wird die Donau für die nächsten 200 Kilometer bis zum Eisernen Tor nehmen.
Kurz vor dem Ziel lieferte sich Pascal nochmal ein Wettrennen mit einem riesigen Frachterverband. Pascal zählte sechs Lastenkähne, die von einem Hauptboot angetrieben wurden. Der Verband kam aber nicht schneller voran als Pascal, sodass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen war, was Pascal aber dank seiner Sprintfähigkeiten für sich entscheiden konnte.
Gegen 15 Uhr erreichte er dann schließlich das Tageziel Ilok. Der Ort war schon zur Bronzezeit besiedelt. Die Römer errichteten hier ein Kastell, als Grenzanlage der Provinz Pannonien. Die Herrscher wechselten: Bulgaren, Ungarn, Habsburger, Osmanen – ein ständiges Gezerre. Im Kroatienkrieg wurden alle nicht-serbischen Bewohner vertrieben, die Häuser geplündert und teilweise zerstört. Mit dem Abkommen von Erdut fiel es 1998 wieder in kroatische Hände. Heute ist es ein kleiner, beschaulicher Ort mit historischen Bauwerken und islamischer Architektur.
Ilok ist mit Bačka Palanka (zu Deutsch Plankenburg) auf der serbischen Seite über eine 700 Meter lange Brücke verbunden. Hauptsehenswürdigkeit ist die Kirche zur Geburt des Hl. Johannes des Täufers, ein serbisch-orthodoxes Gotteshaus und Kulturdenkmal Serbiens.
Pascals Unterkunft liegt direkt an der Donau. Der Gastwirt erkannte Pascal sofort, denn sein Kumpel Stephan, der in Germering bei München ein Restaurant führt, erzählte ihm von einem SUPer, der Ilok wahrscheinlich passieren wird. Eine nette Anekdote. Da morgen wieder eine längere Etappe ansteht, wird Pascal heute in der Unterkunft entspannen und Kraft für den morgigen Tag sammeln.
Es war übrigens Amnesty international, das sich um die Aufklärung des Schicksals von Siniša Glavašević bemühte. 1997 konnte seine Leiche in einem Massengrab identifiziert werden. Er wurde während des Massakers von Vukovar von serbischen Milizen umgebracht. Seine letzte Radiosendung endete mit den Worten: „… wir laufen an Leichen vorbei, Trümmer, Glassplitter liegen überall herum und es herrscht eine grausame Stille. … Wir hoffen, dass das Leiden in Vukovar nun beendet ist.“ Er war einer der ersten Journalisten, die aus dem umkämpften Vukovar berichteten. Zu seiner traurigen Geschichte gibt es auch einen Dokumentarfilm: The Silenced Voice (http://interfilm.hr/film/documentaries/the-silenced-voice/).
Morgen verlässt Pascal Kroatien und paddelt nach Serbien. Das Tagesziel heißt Novi Sad, das serbische Athen. TF