Tag 31: Von Ilok nach Novi Sad – 44,2 km – 5:00 Stunden – 9.748 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.205,5 km
19.08.2017. Die serbische Donau, sie erstreckt sich über eine Länge von 588 Kilometern. Die ersten 136 Kilometer stellen dabei den natürlichen Grenzverlauf zu Kroatien dar, den Pascal bereits passierte. Die Donau wird in Serbien von historischen Orten gesäumt: Novi Sad, Belgrad, die Industriestädte Pančevo und Smederevo und zum Abschluss, kurz vor Rumänien, das Eiserne Tor, eines der absoluten Highlights einer jeden Donaureise.
Bis dahin hat Pascal aber noch einige Tage und Kilometer zu paddeln. Pascal wurde heute auf sehr nette Art von den Gastwirten verabschiedet, die ihm als Spende für Pure Water for Generations 50 Euro in die Hand drückten. Eine tolle Geste. Die Spende wird Pascal nachträglich an unser Spendensystem überweisen. In seiner Unterkunft lernte er auch einen tschechischen Gast kennen, der nach Griechenland radelt und Pascal spontan anbot, das Fortbewegungsmittel zu tauschen, da er mittlerweile über Schmerzen am Hintern klagt. Auch er hatte in Ilok ungefähr die Hälfte seines Weges erreicht. Danach brach Pascal gegen 9:30 Uhr in Richtung Novi Sad auf. Auf der ersten Brücke konnte er nochmal den Tschechen sehen. Beide winkten sich zu und gingen anschließend ihrer Wege.
Zwei Kilometer nach dem Start passierte dann Pascal die Grenze zu Serbien. Für Flussreisende gibt es an der Stelle jedoch keine physischen Grenzbarrieren. Pascal sah nur die kroatische und serbische Fahne im Wind wehen. Bok, Kroatien!
Er ist nun im sechsten von zehn Ländern seiner Reise angekommen. Es ist gleichzeitig ein Kulturbruch. Der wirkliche Balkan beginnt gefühlt hier. Es geht vom Katholizismus, den Kroatien noch prägt, in die Orthodoxie, von lateinischer zu kyrillischer Schrift. Islamische Einflüsse werden sichtbarer. Auch ein anderes, tieferes nationales Selbstverständnis ist zu spüren, dessen Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückgehen und auf historischen Traumata, wie der Schlacht vom Amselfeld, beruhen. Die Folgen eines überzogenen Nationalismus wurden im Jugoslawienkrieg und in den Auseinandersetzungen mit dem Kosovo deutlich. Noch heute sieht sich der ein oder andere als Nachfolger oder Bewahrer der byzantinischen Kultur und träumt von einem serbischen Großreich.
Auf den ersten 20 Kilometern fühlte sich Pascal geistig frisch und dachte viel über die vergangenen und noch bestehenden Konflikte der Balkanvölker nach. Warum sprechen die Menschen so wenig Miteinander? Was sind Lösungen, dass Konflikte aufgrund von Ethnie, Religion und anderen separierenden Themen gar nicht erst entstehen? Der Dalai Lama kam ihm in den Sinn. Pascal hat schon viel von ihm gelesen. Vor allem sein Hörbuch Inneren Frieden finden hat ihn nachhaltig beeindruckt. Er hört es sich immer wieder an. Es geht darum wie man durch Mitgefühl, durch Zuhören und durch Dialog seine Wut, seinen Hass, seinen Egoismus überwinden kann. Und natürlich auch darum, wie man im Einklang mit der Natur und der Umwelt lebt. Braucht es, um bei Pascals Reisebeobachtungen zu bleiben, das größte Motorboot, das den meisten Krach macht und die meisten Schadstoffe in das Wasser und die Luft bläst – um an dieser Stelle nur ein Beispiel zu nennen.
Es sind Themen, die Pascal beschäftigen und er glaubt fest daran, dass die regelmäßige Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, Selbstreflexion und der Blick darauf, auf was es im Leben wirklich ankommt, Menschen nachhaltig positiv beeinflussen können. Die Lektüre der Bücher des Dalai Lama kann definitiv ein erster Schritt hierzu sein. In seinem Buch Ethik ist wichtiger als Religion heißt es: „Die Hauptursachen für Krieg und Gewalt sind unsere negativen Emotionen. Diesen geben wir zu viel Raum und unserem Verstand und unserem Mitgefühl zu wenig. Ich schlage vor: mehr zuhören, mehr nachdenken, mehr meditieren. […] Wir müssen jetzt lernen, dass die Menschheit eine einzige Familie ist. Wir alle sind physisch, mental und emotional Brüder und Schwestern. Aber wir legen den Fokus noch viel zu sehr auf unsere Differenzen anstatt auf das, was uns verbindet. Dabei sind wir doch alle auf dieselbe Weise geboren und sterben auf dieselbe Weise. Es ergibt wenig Sinn, mit Stolz auf Nation und Religion auf dem Friedhof zu landen!“ Wahre Worte.
Nach rund 14 Kilometern sah dann Pascal auf südlicher Seite der Donau immer mehr die Berge der Fruška Gora aufkommen. Es ist für ihn eine nette Abwechslung zur pannonischen Tiefebene der letzten Tage. Ihm fiel auf, dass sich in Serbien noch mehr am Wasser abspielt als in seinen letzten beiden Reiseländern Ungarn und Kroatien. Es gibt immer wieder kleinere Strände und er kann immer wieder Menschen beim Baden beobachten. Die Donau ist für ihn nach wie vor die Donau. Pascal sieht kaum Unterschiede in Serbien zu den anderen Ländern. Einzig die Bojen, die die Fahrtrinne für die Schiffe markieren, haben hier eine andere Form. Nach 22 Kilometern legte er dann seine erste und einzige Pause heute ein.
Gegen 14:30 Uhr erreichte Pascal sein Tagesziel Novi Sad, das „serbische Athen“. Zunächst passierte er einige Industrieanlagen. Kurz vor der ersten Brücke erstreckt sich dann ein breiter Sandstrand mit vielen Badegästen, unzähligen Liegestühlen und wohl gebräunten „Baywatch“-Bademeistern, die laufend in ihre Pfeifen pusteten, um Badegäste, die die umrahmte Badezone verließen, zu verwarnen. Für Pascal war es mal wieder ein großer Kontrast, die ganze Zeit allein in der Natur zu sein, und plötzlich auf eine Großstadt, mit vielen Motorbooten und Jetskis zu treffen, die ihm ordentlich Wellengang bereiteten.
Pascal landete in Novi Sad auf der linken Seite an, da sich dort die Polizeiboote befanden, die er fast wegen zwei größerer Boote übersehen hätte. Die Grenzformalitäten konnten schnell geklärt werden und Pascal bekam den serbischen Stempel in seinen Pass gepresst. Sein SUP konnte er glücklicherweise an der Station deponieren, denn seine Unterkunft befindet sich auf dem Burghügel auf der rechten Seite der Donau – ein Marsch von 25 Minuten über eine große Bücke.
Novi Sad ist mit rund 230.000 Einwohnern nach Belgrad die zweitgrößte Stadt Serbiens. Standort einer der wichtigsten Universitäten des Landes. Das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der Provinz Vojvodina und Kulturstadt Europas 2021. Der Name bedeutet „neue Saat“, mit der Gründung im 18 .Jahrhundert ist es noch eine recht junge Stadt. Novi Sad hat sehr viele Sehenswürdigkeiten zu bieten: die katholische Domkirche im neogotischen Stil, der Platz der Freiheit, das Rathaus im Stil der Neorenaissance. Wahrzeichen der Stadt ist die Festung Petrovaradin, deren Wurzeln bereits auf die Römer zurückgeht und auch als „Gibraltar der Donau“ bezeichnet wird. Sie war einst die größte Festungsanlage des gesamten Donauraums.
Während der Luftangriffe der NATO 1999 wurden in Novi Sad alle Brücken, das Rundfunkgebäude, die zentrale Wasserversorgung, die Raffinerie, Schulen, Krankenhäuser und viele weitere Gebäude zerstört oder beschädigt. Über mehrere Jahre wurde der Verkehr zwischen den Stadtteilen über eine Pontonbrücke sichergestellt. Die Brücke war allerdings ein Hindernis für den Schiffsverkehr, sie wurde nur drei Mal in der Woche geöffnet. Heute sind alle Brücken wieder rekonstruiert.
Pascals heutiges Hotel befindet sich in der Festungsanlage. Von der Terrasse hat er einen herrlichen Blick über die Stadt. Er gönnte sich eine Massage und diese nutzte er nochmal, um seine Gedanken kreisen zu lassen. Folgende Zeilen schrieb er mir hierzu: „Die Massage war für meinen Körper wohltuend und für den Geist erhellend. Es hat mir gezeigt, dass das Loslassen von den Ängsten, Erwartungen und Plänen einen erst zu seinem wahren Ich, zu seinem Ursprung führt. Erst wenn man wirklich loslässt, fühlt man die wahre Kraft des Lebens. Für mich heißt das mehr Zeit zu nehmen für mich. Und achtsamer mit meinen Gedanken zu sein. Dann fließt alles und alles nimmt seinen Lauf.“ Den Abend lässt er nun mit Blick über Novi Sad ausklingen.
Meine Schwägerin Manja hat 2005 in Novi Sad studiert und war so freundlich mir kurz ihre Eindrücke von damals zu schildern: „Novi Sad hat uns 2005 als kleine Studentenstadt begrüßt. Die Studenten haben sich damals zu fünft ein 15 Quadratmeterzimmer geteilt. Es war mit das Einschneidenste zu sehen, wie wir studieren konnten, mit all den Möglichkeiten an Stipendien und Auslandsaufenthalten. Die serbischen Studenten hatten zum Teil wesentlich bessere Fremdsprachenkenntnisse als wir, sie waren hochmotiviert, aber hatten nicht diese Möglichkeiten. Als ich wieder nach Hause fuhr, hatte ich ein beklemmendes Gefühl. Welche Privilegien wir im Westen hatten, was uns offen stand. Und die anderen, die serbischen Studenten, die ihre Träume so nicht ausleben konnten. Dennoch waren sie immer chic angezogen, auch wenn sie ihre Kleidung immer auf Pump, meist in 12 Monatsraten finanzierten. Auch das war für uns fremd. Jeden Abend gingen die Leute auf der Promenade flanieren, auf und ab, und das wiederholte sich an die sieben bis zehn mal. Immer wieder die gleichen Mädchen in tollen Kleidern und mit perfektem Styling. Die Leute versuchten trotz der Umstände das Leben zu genießen, sie waren daran gewöhnt. Und dennoch fühlte es sich für mich beklemmend an. Es gab auch ein Freibad in der Donau, das die Leute ausgiebig nutzten. Das Wasser war aber vollkommen dreckig. Grundsätzlich gab es damals in Serbien wenig Bewusstsein für Umweltschutz oder Mülltrennung. Es kam einfach alles in eins. Ich glaube die Leute waren mit anderen Dingen beschäftigt und hatten genug mit sich selbst zu tun. Beim Einkaufen wurde alles in dreifache Platiktüten gepackt, obwohl die Sachen schon meist verpackt waren. Als wir gegenüber den Kassierern bemerkten, dass wir das nicht brauchen, kam es immer zu großer Verwirrung. Am Beklemmensten war für uns zu sehen wie die Roma lebten. Sie hausten am Stadtrand oder unter Brücken in Wellblechhütten. Sie lebten förmlich im Dreck der anderen und versuchten diesen Dreck irgendwie für sich zu verwerten. Wir waren damals auch in Vukovar. Wir kamen am Busbahnhof an, und es gab nichts außer Einkaufszentren, in denen es eigentlich nichts zu kaufen gab. Es gab sehr viele Denkmäler und Plätze, die an den Krieg erinnerten. Die Leute waren damals dabei, ihre Häuser zu renovieren. Teilweise fehlte aber das Geld, so dass die Häuser auch nur zum Teil renoviert wurden und den Rest ließ man in seinem beschädigten Zustand.“
Mal schauen, welche Eindrücke 12 Jahre danach Pascal von Novi Sad gewinnen konnte. Sein Bild von Vukovar hat bereits viele Parallelen zu den Eindrücken von Manja. Morgen geht es für Pascal weiter nach Slankamen, ein kleiner, beschaulicher Ort auf dem halben Weg nach Belgrad. TF